Friends with Benefits – der erste Schritt ist oft der schwerste
Es war eine dieser lauen Sommernächte. Sie kamen von einer Party. Fünf Leute, viel Spaß, viel Alkohol und eine aufgeheizte Stimmung. Sie fuhren vom Club mit der Bahn nach Hause und einer nach dem anderen verließ den Zug in Richtung Bett.
Mike und Tina waren die Letzten, die aussteigen mussten und fuhren die verbleibenden zwei Stationen allein weiter. Die Truppe kannte sich seit der Schulzeit und hatte schon viele Nächte gemeinsam verbracht – auf der Tanzfläche oder in Bars. Nur zu Mike, hatte Tina etwas mehr Kontakt. Die beiden wohnten fast Tür an Tür, und so traf man sich oft auch abseits der Clique zum Shoppen, Film schauen, Quatschen oder Ausheulen. Mike war schon eine Zeit lang Single und Tina hatte die heutige Tour genutzt, um über ihren Ex hinweg zu kommen, mit dem sie zwar nicht immer glücklich, aber eben doch irgendwie zusammen war. Die Ablenkung hatte gut getan, und da sie noch nicht wirklich müde war, war sie froh, dass auch Mike noch einen kleinen Absacker bei ihr trinken wollte.
Sie torkelten mit leichter Schlagseite fröhlich lachend die Treppen zu ihrer Wohnung hinauf und mahnten sich beide gegenseitig spitzbübisch kichernd zur Ruhe. In der Wohnung angekommen, flogen die Schuhe in die Ecke und Mike holte eine Flasche Wein und zwei Gläser aus der Küche. Sie ließen sich aufs Sofa fallen und plötzlich war da dieser Blick und ein ungewohntes und aufregendes Gefühl, dass der Abend noch lange nicht zu Ende war.
Ein kurzes Zögern, ein unsicheres und verlegenes Lächeln, und als Tina die Situation mit der Frage nach etwas Musik oder einem Film auflockern wollte, spürte sie Mikes Lippen bereits auf ihren.
Die Augen weit aufgerissen, wagten ihre Lippen nicht, den Warnungen des Kopfes zu folgen und sich von seinen zu lösen. Ein Gefühl der Nähe und Vertrautheit machte sich in ihr breit. Und Angst und Verwirrung und Scham und … dann löste er die Knöpfe ihrer Bluse und sie versank in dieser Nacht in einen Rausch von Gefühlen. Ihr Kopf hatte die Mahnungen aufgegeben und wartete geduldig auf den nächsten Morgen.
Freundschaft Plus – und der Morgen „danach“
Ein kurzes Blinzeln, als die Sonne durch das Fenster kroch, ein Blick an die Uhr, ein Griff an die Schläfe und dann ganz langsam den Kopf drehen, um zu sehen, ob das letzte Nacht ein Traum war, oder man tatsächlich nicht allein völlig durchgeschwitzt eingeschlafen ist. Das Bett war leer! Puh, ein Glück, nur geträumt, das wäre ja auch, also das geht doch nicht, also nicht mit Mike, also nicht, dass er nicht attraktiv wäre, aber mal ehrlich, wir sind doch beste Freunde und … Kaffeeduft?
„Guten Morgen“ grüßte Mike, fertig angezogen und mit einem Kaffee in der Hand. „Gut geschlafen? Ich muss dann auch gleich weg, Frühstück hab ich dir hingestellt. Wir sehen uns ja morgen wie immer zum DVD-Abend. Wäre schön, wenn du diesmal das Spielzeug mitbringen würdest.“ Er grinste übers ganz Gesicht, drehte sich um und ging.
Das war ja wohl nicht sein Ernst! Tut er jetzt so, als wäre das normal? Er hätte Tina ja wenigstens sagen können wie es weiter geht und was er von ihr erwartet. Oder erwartete er gar nichts? Immerhin hatten sie letzte Nacht Sex. Redet man da nicht am Morgen danach irgendwie drüber? Gut, das würde die Sache komplizierter machen, aber wurde es das nicht immer irgendwann? Und was war so schlimm daran nicht darüber zu reden? Vielleicht musste ja nichts geklärt werden. Konnte man die Dinge einfach auf sich beruhen lassen? Oder sie wiederholen?
Tina war sich sicher, dass Mike lachen und ihr mit einem lässigen Kommentar auf den Lippen ein Bier aufmachen würde, wenn sie ihm am übernächsten Tag gestand, das „Spielzeug“ nicht dabei zu haben. Die Sache wäre erledigt und die Erde würde sich weiter drehen. Aber wollte sie das? Der Sex war genial, vielleicht auch gerade, weil nichts drum herum kompliziert war. Sie hatte sich gehen lassen und war völlig bei sich, vielleicht weil nichts diskutiert werden musste. Sie beschloss, das Spielzeug für den nächsten Besuch ein zu packen. Und dabei blieb es nicht, nicht bei einer weiteren Nacht und auch nicht bei einem weiteren Monat voller spontaner, unkomplizierter und vertrauter Sexabenteuer mit ihrem besten Freund.
Zwischen Beziehung und One-Night-Stand
Aber warum werden aus Freunden plötzlich Sexpartner, wenn sie doch keine feste Beziehung wollen? Warum warten sie nicht auf die große Liebe und geben sich bis dahin mit One-Night-Stands zufrieden? Warum eine gute Freundschaft für ein bisschen Sex aufs Spiel setzen? Und kommt nicht doch irgendwann bei einem von beiden der Wunsch nach mehr auf?
Casual Sex mit Freunden verbindet die Freuden, die Lust und die Ungebundenheit des One-Night-Stands mit den Vorzügen einer Freundschaft wie Vertrauen, Intimität und Geborgenheit.
Es ist einfach nur Sex und Sex ist so einfach. Man kann sich hingeben, ohne vorher stundenlang aufgebrezelt in einer Bar aus zu harren, auf der Suche nach einem potenziellen Partner für eine Nacht. Man muss nicht mit dem Risiko leben, dass die Drinks, die man an der Bar spendiert hat, bis der oder die andere bereit fürs Finale war, die Nummer am Ende nicht wert waren und man muss sich keine Gedanken darüber machen, wie man sich nach einem One-Night-Stand am nächsten Morgen unbemerkt aus dem Haus stiehlt, nur für den Fall, dass die Konditionen dieser Verbindung am Abend vorher nicht klar vermittelt wurden.
Man kennt sich, man mag sich, man weiß, was man vom anderen zu erwarten hat und was nicht. Die Zahl der Singles nimmt in Deutschland seit Jahren zu. Man spricht bereits schon von einer „Generation beziehungsunfähig“. Aber vielleicht ändern sich auch nur die Ansprüche an diese und viele Menschen sind unter 30 einfach noch nicht bereit, sich festzulegen und genießen die Freiheit und Ungebundenheit in vollen Zügen. Und warum? Weil sie es können! Ungebunden und trotzdem sexuell ausgelastet – für viele die ideale Lebensweise.
Sex ist schon lange kein Tabu mehr, es ist ein Lebensgefühl und wird vor anderen nicht mehr hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Die Freunde kennen Vorlieben und Neigungen, Praktiken und Tabus ohnehin oft besser als der eigene Partner. Warum sich also nicht auf das Abenteuer einlassen und sich der Vertrautheit eines guten Freundes mit der Lust des Besonderen hingeben.
Die unausgesprochenen Regeln
So toll das alles klingt, fragt sich doch der eine oder andere, wo denn der Haken ist. Nun, den gibt es tatsächlich, wenn nicht zwei Dinge von vornherein beiden klar sind.
Erstens – aus der Freundschaft Plus wird keine Beziehung!
Die Interessen beider Seiten müssen von Anfang an nur auf Sex ausgerichtet sein. Keine Diskussionen, keine Beziehung, kein „was wäre eigentlich wenn“ – nichts! Sex – keine Verpflichtungen!
Zweitens – Friends with Benefits werden irgendwann einfach wieder Friends sein!
Casual Sex mit Freunden ist nichts von Dauer. Es ist eine schöne und zwanglose Art, bei aller Freiheit und Ungebundenheit nicht auf die sexuellen Bedürfnisse verzichten zu müssen, aber sobald Mr. oder Mrs. Right um die Ecke biegen, brechen für einen von beiden wieder enthaltsamere Zeiten an.
Gibt es eine Freundschaft danach?
Die Frage lässt sich ganz einfach beantworten – es kommt darauf an!
Eine Garantie dafür, dass man nach der Freundschaft Plus einfach kurz Minus rechnen kann und alles ist beim Alten, gibt es natürlich nicht. Aber so wie sich feste Beziehungen wandeln, sich der Umgang der Gesellschaft mit dem Thema Sex gewandelt hat und alles viel offener und spontaner ist, so wandeln sich sicherlich auch Freundschaften.
Wenn sich beide von vornherein an die Regeln halten, und der Sex zwischen beiden nicht in den Vordergrund ihrer Beziehung rückt, ist es nicht ungewöhnlich, dass die Erotik aus dem Leben der Freunde so schnell wieder verschwindet, wie er gekommen ist. Es war eine schöne Zeit, die man genutzt hat, als beide ungebunden waren. Man hat beider Bedürfnisse gegenseitig erkannt und befriedigt, akzeptiert aber auch, wenn einer von beiden sich jetzt anders orientieren oder festlegen möchte.
Das ist das Schöne an Sex mit Freunden – es ist während dessen nicht kompliziert und das muss es auch hinterher nicht sein. Keine Verpflichtungen, keine Fragen, keine Diskussionen und keine Vorwürfe. Einfach nur Sex!
Sicherlich gibt es auch Freundschaften, die an so einem „Experiment“ zerbrechen. Dann aber nicht des Casual Sex wegen, sondern oft, weil einer von beiden irgendwann mehr wollte. Doch hier muss man ganz klar sagen, dass die Gefühle bestimmt nicht beim Sex entstanden sind, sondern vorher unausgesprochen schon da waren und der Sex das Gefühl der Gegenseitigkeit nur verstärkt hat.
Doch eine solche Freundschaft wäre auch ohne das „Plus“ irgendwann zum Scheitern verurteilt gewesen, da zwar Sex ohne Gefühle jederzeit möglich ist, Gefühle ohne Sex aber dauerhaft eher nicht.
Unterm Strich muss jeder für sich entscheiden, ob eine Freundschaft den Schritt zum Sex verträgt und auch dauerhaft wieder ohne auskommt. Was für den einen die ideale Verbindung ist, kann für den anderen zum Gefühlschaos werden. Wägt daher sorgfältig ab, redet vielleicht sogar offen über diese Option und entscheidet euch, wenn auch nur einer von beiden zweifelt, lieber für eure Freundschaft. Steht abends gemeinsam um einen One-Night-Stand werbend aufgebrezelt an der Bar und erzählt euch am nächsten Morgen lachend bei einer Tasse Kaffee, wie ihr es geschafft habt, euch unbemerkt davon zu stehlen.
Kommentare
Sevgi 18. November 2016 um 22:41
Danke. Ich finde auch, dass in unserer Gesellschaft ein zu großes Drama um Sex gemacht wird. Uns wird einfach in der Kindheit beigebracht, dass gewisse Teile unseres Körpers „schmutzig“ sind. Genau genommen ist das einfach nur dämlich.
Also danke für den tollen Artikel.
Lg,
Sevgi